Grundrisse von Konzentrationslagern
Ein Buchprojekt von Ulrich Wagner
Text von Stefan Soltek
„Das Ganze ist immer etwas anderes als die bloße Summe seiner Teile“ (Fritjof Capra)
Weltanschauliche Denkformen unterliegen gesellschaftlichen und kulturellen Strömungen, sie sind gebunden an historische Epochen. Die Betrachtung der Welt im Sinne eines homogenen, göttlich vorgegebenen Kosmos war bis in die frühe Neuzeit hinein maßgeblich und wurde im Zuge einer vermehrten Wissensermittlung im Detail sowie eine stärker auf den Menschen an sich orientierte Daseinsbegründung allmählich differenzierter. Im Anfang des 17. Jahrhunderts mag ein insofern wesentlicher Wandel stattgefunden haben. Ganzheitliche Weltbilder, basierend auf paracelsischen Gedanken, wie sie eingehend von dem englischen Arzt und Philologen Robert Fludd exertziert und von Matthaeus Merian umfassend illustriert wurden, fanden sich überholt von mehr und mehr spezialisierter Medizin und Naturwissenschaft, die den abbildhaften Zusammenhang des Makrokosmos himmlischer und natürlicher Kräfte und des Mikrokosmos Mensch zugunsten einer spezialisierten Methodik vernachlässigte. Dieses Hinwirken auf ein logisches Analysieren und Vertiefen von Teilbereichen etablierte sch fortan und bestimmt nachhaltig die Strukturen moderner Zivilisation. Es blieb insbesondere Künstlern vorbehalten, Musik, Poesie und Bild in den Dienst der Vision von größeren, ganzheitlichen Gefügen und deren Störung zu signalisieren.
Neue Impulse, Weltanschauung ganzheitlich unter Berücksichtigung von interdependenten Systemen zu entwickeln und nicht unter dem Diktat einseitiger Interessensdurchsetzung, gaben die Forschungen des Physikers und Systemtheoretikers Fritjof Capra. An ihnen orientiert sich die künstlerische Arbeit Ulrich Wagners, verankert in der Überzeugung, durch das Setzen von abstrakten Bildzeichen Blickwinkel zu erweitern, Ansichten auf eine Basis des sensiblen Ablesens von Grundgegebenheiten zu konzentrieren. Partikularismus und lineare Zielsetzung werden aufgebrochen. Wie eine in ihrem Rahmen verhaftete ideologische Denkform, getragen von totalitärer Radikalität, in die Katastrophe führt, hat in der erschreckendsten Weise der Nationalsozialismus gezeigt. Ohne jegliches Korrektiv wurde der Wille des Einzelnen, Hitlers, zum Gesetz eines Volkes erhoben. Zu seiner unbedingten Durchsetzung wurde als das furchtbarste Instrument das Konzentrationslager geschaffen, in industrieller Dimension ausgebaut und perfektioniert für den Massenmord.
Pervertiertes Denken in seiner schlimmsten Konsequenz zu erfassen, ist Ausgangspunkt jener vier Bücher Ulrich Wagners, die Konzentrationslager behandeln. Es ist diese auf den Hintergrund der Denkform abzielende Perspektive, die das dokumentarische Aufarbeiiten dominiert und Wagner eine in ihrer nüchternen Grundsätzlichkeit ungewöhnliche Zugehensweise auf den Holocaust eröffnet. Daß sie dabei außerordentlich vor-sichtig sondiert und größte gestische Zurückhaltung in athmosphärische Dichte zu sublimieren weiß, läßt die Arbeit als Zeichen setzend erscheinen.
Die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen, Mittelbau-Dora und Auschwitz-Birkenau sind Gegenstand des Projekts, das Ulrich Wagner im Winter 1994/95 zum Abschluß gebracht hat. Die Lager wurden im Hinblick auf ihre Geschichte, Größe und unterschiedlichen Funktionen ausgewählt. In ihnen fanden alle Verbrechen statt, die KZ-inhaftierten Menschen widerfuhren: Internierung, Zwangsarbeit, insbesondere für die Rüstungsindustrie, und Vernichtung.
Jedes Lager ist in einem Buch erfasst. Die Bücher bestehen aus einem einzigen, zum Leporello gefalteten Blatt, das ausschließlich den Grundriß des Lagers zeigt. Nur das Lager Birkenau (Auschwitz) ist seiner besonderen Größe wegen auf drei Blätter entsprechend der drei Bauabschnitte verteilt. Die Bücher enthalten keinen Text. Ihre grauen Leinendeckel sind mit dem Namen des KZ bedruckt, die Schuber mit dem Satz des Physikers Fritjof Capra: „Das Ganze ist immer etwas anderes als die bloße Summe seiner Teile“. Die Lagergrundrisse sind – abgenommen von Originalplänen – maßstabsgetreu aus Papierpulp geschöpft. Linien und Felder, die die Umrisse und Verläufe von Wegen, Mauern und Gebäuden, also die Struktur der Anlage, markieren, sind hellgrau (Dachau), schwarz (Sachsenhausen) sowie schwarz und grau (Mittelbau-Dora) in einen antrazitfarbenen Fond eingegossen. Auf eine Legende hat Wagner verzichtet.
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Sachsenhausen Leporello, schwarzes handgeschöpftes Büttenpapier mit grauem aufgegossenem Grundriss des Konzentrationslagers Sachsenhausen aus pigmentierter Papiermasse Seitengröße: 23 x 23 cm, Leporellogröße: 23 x 1300 cm, Gesamtgröße (als Fläche ausgefaltet): 187 x 187 cm Auflage: 10 Exemplare 1995 |
Jeder Leporello ist so unterteilt und gefalzt, daß das eine, zusammenhängende Blatt alternativ auf zwei Weisen ausgezogen werden kann, entweder als in die Breite gerichtetes Band, oder, an bestimmten Abschnitten über Eck gefaltet, als Rechteck. Nur in die Breite ausgezogen, entwickelt der Leporello die Abfolge von Planquadraten, die eine etwa 10 Meter lange Strecke waagerecht fortlaufender Linien und hochrechteckiger, gereihter Felder ergeben. Fließen und Repetieren stereotyper Formen vollziehen sich in einer Sequenz, die keinen bestimmten Rhythmus erkennen läßt. Das Lineament liest sich ohne Anfang und ohne Ende als Ausschnitt eines Prozedere, dessen Aussage den Nachschauenden als Nachdenkenden auf sich selbst zurückverweist. Darüberhinaus ist ein Weiterkommen schwierig, die Struktur deutet allenfalls einen Weg an, auf dem Unterbrechungen keine Akzente und Punkte keine Anhaltspunkte sind. Wieso „Dachau“ oder „Mittelbau-Dora“, wieso „Sachsenhausen“ oder „Birkenau“? Der extrem lang gestreckte Leporello eröffnet einen ungewöhnlich großen Zeit-Raum, um zu den Namen der KZs Wissen und Ahnen, Worte und Bilder in der Erinnerung abzufragen. Diese „Richtlinie“ akzentuiert Ulrich Wagner außerdem durch die Farbgebung. Antrazit und Grau in Verbindung mit der filzig aufgerauten Stofflichkeit des Pulps wirken merkwürdig ambivalent. Haptische Taktilität einerseits und eindeutige Entziehung von affektiver Annäherung andererseits kennzeichnen die Sprache der Arbeit. Irritation dominiert die emotionale Reaktion. Durch seine Indifferenz verweigert sich der Leporello einer eindeutigen Botschaft, die zu entwickeln er dem Betrachter selbst überantwortet.
Diese Wirkungsweise äußert sich modifiziert, wenn der Leporello rechteckig ausgelegt den Blick auf das Ganze der Linien und Felder auf einmal ermöglicht und den Grundriß des Lagers zu erkennen gibt. Damit konkretisiert sich die Ortsangabe, dem Namen wird die „Bezeichnung“ seiner Anlage beigegeben. Wagner zielt dabei auf die Erkenntnis ab, daß den im Lager passierten Grausamkeiten deren „Erfindung“ voranging, daß ihre Planung und ihre Umsetzung in Bauten und Arreale im Dienste einer reibungslosen Haltung und Kontrolle von Massen Inhaftierter betrieben wurde. Die vollkommen unzufällige, die durch und durch rational kalkulierte Verwirklichung von Unmenschlichkeit, von industriell bewerkstelligtem Massenmord, ruft der schlichte Verweis auf den Plan ins Bewußtsein. Dies irritiert, weil Wagner auf alle Mittel bekannter Heranführung an den Holocaust verzichtet. Wesentliche Grundlage seiner Arbeiit ist, daß die Möglichkeiten, den Holocaust mit Hilfe des Bildes und des Wortes zu beschreiben, wenn nicht quantitativ ausreichend, so doch prinzipiell ausgeschöpft sind. Daraus ergab sich, in anderer Form, nämlich zeichenhaft , letztlich aber umso nachhaltiger, auf das Geschehen in den Konzentrationslagern aufmerksam zu machen.
Wagner zeigt nicht das Geschehen, zeigt auch nicht ein Bild seiner Handlungsstätte. Er geht auf das Grundlegende, den Plan zurück. Wie sedimentiert, abgelagert stellt er ihn dar, als sei eine archäologische Arbeit zu verrichten, um Vergessenes in seinen Grundfesten zu bewahren. Wagner drückt auf seine Weise wortlos die Grundschwierigkeit im Umgang mit dem Holocaust aus: was immer von Auschwitz gezeigt wird, läßt Begreifen nicht zu. Nichtsdestrotz läßt gerade Wagners zeichensprachliche Auseinandersetzung zu, von grund auf Informationen über das Geschehen in den Konzentrationslagern zu sammeln, Spuren zu sichern. Das gilt umso mehr für eine Generation, der autentische Zeitzeugen fehlen und die emotional, durch Bekundung von Betroffenheit allein kaum mehr erreichbar ist.
Wie schwer es schon heute ist, derartige Informationen zu erhalten, erweist sich beispielhaft anhand der spärlichen, oder auch nicht existenten, minimal auf Sekundärliteratur verweisenden Einträge einer der führenden deutschsprachigen Enzyklopädien unserer Zeit:
(Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden):
„Dachau, Kreisstadt in Bayern, BRD, an der Amper…Am Ortsrand von D. befand sich eines der ersten nationalsozialist. Konzentrationslager, das bereits im März 1933 von der SS für polit. Gegner des Nationalsozialismus errichtet worden war. 1933-45 waren in D. etwa 200 000 Häftlinge aus 24 Ländern Europas interniert, von denen zwischen 1940 und 1945 mindestens 34 000 Menschen umkamen. Während des 2. Weltkrieges wurden dem Lager 125 Außenstellen und Kommandos angeschlossen, die die Rüstungsindustrie in Süddeutschland und Österreich mit Arbeitskräften versorgten.“
Mittelbau-Dora: kein Eintrag. auch keine Erwähnung im Artikel „Konzentrationslager“. „In Folge der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt für die V-Waffen in Peenemünde entstand im August 1943 das Lager „Dora“ bei Nordhausen (Harz). Die in den Stollen des Kohnsteins eingesetzten KZ-Häftlinge errichteten unter unvorstellbaren Leben- und Arbeitsbedingungen das sog. „Mittelwerk“, eine riesige unterirdische Fabrik für die Serienfertigung der V2 und V1. Bis zum Mai 1944 verlegte man die bis dahin in Schlafstollen untergebrachten Häftlinge in Baracken. Die geräumten Kammern wurden für die Serienfertigung der V1 genutzt. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1944 wurde „Dora“ zum selbständigen Konzentrationslager „Mittelbau“. Über 30 Außenlager gehörten zum KZ-Komplex, in dem ca. 60 000 Menschen aus über 40 Nationen inhaftiert waren. Am 11 April 1945 wurde das Lager von Amerikanichen Soldaten befreit. Über 20 000 Menschen hatten die Lagerzeit nicht überlebt. Nach dem Abtransport von Raketenteilen, Unterlagen und Dokumenten in die USA und dem Abzug der Amerikaner aus Nordhausen begannen sowjetische Soldaten mit der Demontage der Pruduktionsanlage im Kohnstein. 1948 verschlossen die Russen durch Sprengung die Stolleneingänge.“ (KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, 1995)
„Sachsenhausen, Gemeinde im Landkreis Oranienburg, Bezirk Potsdam…1936 bis 1945 bestand in S. ein nationalsozialist. KZ, dessen Insassen v.a. während des 2. Weltkriegs zu Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Von den rund 200 000 Häftlingen kam mehr als die Hälfte um (ein erhebl. Teil bei der Räumung des Lagers im April 1945).“
„Auschwitz (poln. Oswiecim), Stadt in Polen, Verw.-Geb. (Woiwodschaft) Krakau, nahe der Weichsel…wurde 1939 von dt. Truppen besetzt. 1940 richtete die SS bei A. ein Konzentrationslager ein und erweiterte es im Sommer 1941 zum Vernichtungslager, v.a. für die Tötung von Juden. Bis zur Besetzung von A. durch sowjet. Truppen (27. Jan. 1945) starben 2,5-4 Mill. Menschen (geschätzte Zahlen). Der Lagerkomplex bestand aus 3 Hauptlagern (I Stammlager, II Birkenau, III Monowitz) und zahlreichen Nebenlagern; Monowitz und viele Nebenlager waren Arbeitslager für angegliederte Betriebe dt. Konzerne.“
Die Enzyklopädie, der die Einträge zu Dachau, Sachsenhausen und Auschwitz bezüglich ihrer Konzentrationslager vollständig entnommen sind, enthält auf einer Spalte Informationen zum „Konzentrationslager“ im Nationalsozialismus, ohne weitere Einzelheiten zu den o.g. Lagern.
Wagners Arbeit bedeutet eine Gratwanderung. Ein Faltplan von KZs aus geschöpftem Papier, ist das nicht Origami am denkbar unpassendsten Objekt, Dekor, der geschmacklos sein muß?
Die Bücher halten solcher Kritik stand. Unübersehbar erhebt sich die kritische Anfrage an die tatsächlich mehr oder weniger verbreitete Zurkenntnisnahme der Bedeutung von Auschwitz (siehe die Bemerkungen zur Enzyklopädie oben), in einer Zeit, in der die Auschwitzlüge unerträglich gefunden, das Morden in den Konzentrationslagern gleichwohl lieber unbesehen bleibt. Die Arbeiten Wagners öffnen unmißverständlich eine neue Ebene, das Unfassliche des Holocaust zu reflektieren. Die extrem verdichtete Kodierung in den simplen Zeichen der Grundrisse resultiert nicht im mindesten aus einer oberflächlichen Behandlung des Themas. Von der Auswahl der Lager bis zu ihrem Besuch und der Beschaffung von Kopien der originalen Grundrisse liegt ein beträchtlicher Weg, und das gilt nicht minder von der Übersetzung der zunächst einfach erscheinenden Idee in die minutiöse, höchst differenzierte Handarbeit, die das Schöpfen der enorm großflächigen Bögen in zehn Exemplaren – so groß ist die Auflage jedes Buchs – voraussetzt. Die Wahl des handgeschöpfen Papiers als Medium der Planzeichen ist entscheidend für die Wirkung einer scheinbaren Begreifbarkeit, die im Blättern des Buchs physisch tatsächlich zu einem das Lesen nochmals modifizierenden Abtasten des Schwarz und Graus führt. Die farbliche und motivische Brechung des an sich erhabenen Büttenpapiers untermauert die Enthebung der Architekturzeichnung auf die Ebene des dem Gewicht des Themas gemäßen Denkmals.
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Auschwitz II (Birkenau) Drei Leporellos, schwarzes handgeschöpftes Büttenpapier mit grauem aufgegossenem Grundriss des Konzentrationslagers Birkenau aus pigmentierter Papiermasse Seitengröße: 31 x 31 cm, Leporellogröße: 31 x 2600 cm, Gesamtgröße (als Fläche ausgefaltet): 250 x 405 cm Auflage: 10 Exemplare 1995 |
Die vier Bücher sind die jüngste Arbeit eines Künstlers, der mit dem Zeichen seit Jahren umgeht. Diese Zeichen, auf ein geringstes Formvokabular begrenzt, bezeichnen Flächen und Räume unterschiedlichster Größe und Beschaffenheit, bezeichnen Wagners Art, Struktur zu versinnbildlichen, das Betrachten an sich zu einer Lektüre im Kontext zu sublimieren, Schemata zu definieren, die als Spannungsfelder von Rhythmen, von Signalen, Konstanten und Kontrasten die Wahrnehmung konzentriert beanspruchen. Symbolisch sind diese Zeichensetzungen Wagners nicht gemeint. Wenn sich neben den rein geometrischen Einzelzeichen das Motiv eines stilisierten Messers findet, dann erscheint es wie die kleinst mögliche Subjektivierung des primär positionsfreien Zeichens, mehr nicht. Aus diesem Zusammenhang des Werks fällt das Projekt der Konzentrationslagerplänen heraus. Einerseits ist der Ausgangspunkt der Arbeit eindeutig benannt und ebenso die Intention, das KZ und die Frage, was es für wen bedeutet, zum Thema zu machen. Andererseits erscheint die besondere Art der Verknappung des Themas, die radikale Grundlegung der Betrachtung eines zwar abschließend bewerteten, aber weder im Einzelnen noch im Ganzen Begriffenen, von der lang geübten Arbeit mit den für sich genommen bedeutungsfreien Zeichen wesentlich beeinflußt. Auch im Kontext des Themas KZ löst sich ihre abstrakte Qualität nicht gänzlich auf. Der Plan ist in seiner ganzen gestalterischen Belanglosigkeit, in seiner Trivialität nicht auch nur entfernt geeignet, die Grausamkeit zu entdecken, die aus seiner Umsetzung und dem realen Funktionieren des von ihm Bezeichneten erwächst. Sowie das Ganze etwas anderes ist als die Summe seiner Teile, so relativ ist seine Betrachtung für ein Verstehen. Der Grundriß ist allenfalls ein Anzeichen seiner Ausführung, und erst seine Farbgebung und seine Umsetzung in das dem Architekturplan artfremde, wertvolle und in seiner vollendeten Unscheinbarkeit perfekt beherrschte Material Pulp leisten jene Verfremdung, die ein Nachdenken über das Zustandekommen der Konzentrationslager der Betroffenheit über den Massenmord zur Seite stellt.
Auschwitz II (Birkenau)
Drei Leporellos, schwarzes handgeschöpftes Büttenpapier mit grauem aufgegossenem Grundriss des Konzentrationslagers Birkenau aus pigmentierter Papiermasse Seitengröße: 31 x 31 cm, Leporellogröße: 31 x 2600 cm, Gesamtgröße (als Fläche ausgefaltet): 250 x 405 cm Auflage: 10 Exemplare 1995
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Die Bücher sind aber nicht allein als Reflex des historischen Tatbestandes „Konzentrationslager“ gemeint. Ulrich Wagner geht es – wie schon eingangs angedeutet – darum, sie als krasseste Entgleisung eines Denkens zu begreifen, das radikal und extrem schmalspurig die Verwirklichung eng umgrenzter Interessen durchsetzt. Insofern sieht er die Lager nicht als isoliertes Phänomen, sondern als Exzess des prinzipiell auch heute akuten Problems, englinig Lebenssphären zu determinieren, anstatt sie kraft einer Vernetzung des Denkens ausgewogener auszutarieren. Die Grundrisse der Konzentrationslager als simpelste Ausformungen brutalster Menschenverachtung und Vernichtung lesen sich insofern als Zerrbild. Sie bezeichnen die Katastrophe, die totaliäres, mechanistisches Denken, ohne jegliche Verantwortung für das Gleichgewicht von Lebensvielfalt, anrichtet.
Wagners Bücher sind Akten, die nicht zu schließen sind, die vorausschauen auf die Dringlichkeit, das Denken im Sinne offener Denkformen neu zu begründen.
Stefan Soltek